Blutsbrüder Premiere im KATiELLi-Theater
Somit ist es verwunderlich, dass die deutschen Stadttheater dieses Musical eher selten für sich entdecken, benötigt es doch keinen größeren Aufwand von Seiten der Kulisse und der Technik. Mag sein, dass die Geschichte von vielen als zu „britisch“ angesehen wird oder die langen Sprech- und wenigen Gesangsszenen ungewöhnlich für ein Musical erscheinen. Dennoch zeigt Arends in seinem kleinen Theater, dass dieses Musical auch vor deutschem Publikum ausgezeichnet funktioniert.
„Blutsbrüder“ erzählt die Geschichte von Zwillingen aus dem Liverpooler Arbeitermilieu, die nach der Geburt getrennt werden und in unterschiedlichen Gesellschaftsschichten aufwachsen. Im Alter von sieben Jahren begegnen sie sich wieder und schließen – ohne Wissen um ihre tatsächliche Verwandtschaft – Blutsbruderschaft. Das zunehmende soziale Gefälle – einer der beiden wird erfolgreicher Anwalt, der andere landet im Gefängnis – und die Tatsache, dass sie sich in das gleiche Mädchen verlieben, führt zu einem Bruch ihrer Freundschaft und letztlich zum tragischen Tod der beiden.
„Blutsbrüder“ fokussiert sich auf einige wenige Darsteller – eine Art Kammerspiel mit Musicaleinfluss. Während der erste Akt mit viel Witz und spaßigen Dialogen daherkommt, ist der zweite Akt bedeutend düsterer. Gerade der Teil nach der Pause verlangt nach Charakterdarstellern, die es schaffen, der inneren Zerrissenheit der Personen, die alle mit ihrem Leben überfordert sind, Ausdruck zu verleihen. Und besonders hier überzeugt das 8-köpfige Ensemble von Bernd Julius Arends und Katharina Koch.
Miriam Lotz, die auch für die musikalische Einstudierung verantwortlich ist, spielt Mrs. Johnstone, die einen ihrer beiden Neugeborenen verkauft, um über die Runden zu kommen. Sie ist ganz klar die zentrale Person auf der Bühne. Sie beeindruckt durch ihren gefühlvollen Gesang, der zusammen mit ihrem bewegenden Spiel ein ergreifendes Rollenporträt der verzweifelten Mutter abgibt, die letztlich an ihren eigenen Schuldgefühlen zerbricht. Besonders, wenn sie im letzten Song „Sag es ist nicht wahr“ mit zitternden Knien und brechender Stimme ihrer Traurigkeit Ausdruck verleiht, ist das darstellerische Kunst auf sehr hohem Niveau. Bernd Julius Arends und Markus Kloster spielen die Brüder Mickey und Eddie. Beide schaffen es auf sympathische Weise, die Zwillinge sowohl im Kindesalter, als auch im späteren Verlauf als Erwachsene glaubhaft darzustellen. Besonders ersteres ist gar nicht einfach, soll doch die Darstellung nicht überzogen komisch daherkommen, sondern das Publikum von Anfang an mitfühlen lassen. Beide Schauspieler nutzen ihre Rollenbeschreibungen, um ein pointiertes Bild der beiden Jungen zu zeichnen: Kloster als gut situierter Schnösel, dem jegliche Schimpfwörter fremd sind und der wohl behütet, immer nett lächelnd aufwächst, und Arends als typischer Junge aus der Unterschicht, der mit Kraftausdrücken um sich wirft und schon als Kind bei diversen Raubzügen seines älteren Bruders mitmacht. Besonders Arends als Mickey überzeugt im zweiten Akt durch sein anrührendes und intensives Spiel, bei dem er extreme Gefühlsschwankungen aufgrund seines Tablettenkonsums ungemein überzeugend darstellt.
Markus Alexander Neisser als Erzähler führt mit mystischen Kommentaren und Songs, die den nahenden Untergang ankündigen, gekonnt und bewusst unnahbar durch die Handlung. Er zeigt sich wandlungsfähig und schlüpft als Milchmann, Gynäkologe, Polizist etc. in unterschiedlichste Nebenrollen. Da die Erzählerrolle in der Originalproduktion häufig eher älteren Darstellern mit rauer, markanter Stimme vorbehalten ist, wirkt er anfangs ungewöhnlich jung für den Part, jedoch passt seine Darstellung gut zur Erzählweise und seine klare Intonation überträgt die düsteren Texte effektvoll auf den Zuschauer.
Die Ausstattung beschränkt sich wie im Original auf das Wesentliche: Zwei Häuserfronten, eine Straße, einige Requisiten. Hier und da hätte man sich vielleicht noch die ein oder andere Projektion mehr gewünscht – wirken diese doch stets sehr effektvoll und erweitern die Mini-Bühne ungemein.
Die Musik wird aufgrund der recht kleinen Bühnenverhältnisse leider nicht live gespielt, was jedoch nicht entscheidend stört. Lediglich der Lautstärkeregler könnte beim ein oder anderen Song noch ein wenig nach oben korrigiert werden, da einem gerade Titel wie „Ein Verrückter“ durchaus etwas lauter um die Ohren knallen dürfen, um noch stärker zu fesseln und die Aufgeregtheit zu unterstützen.
„Blutsbrüder“ im KatiElli Theater Datteln ist große Theaterunterhaltung auf kleiner Bühne und bester Beweis dafür, dass es nicht immer die großen Häuser sein müssen, die einem in den Sinn kommen, wenn man vom Thema Musical spricht. Manchmal sind es kleine Theater wie dieses, die durch geschickte Stückwahl und eine starke Inszenierung für einen erinnerungswürdigen Theaterabend sorgen. Das gesamte Team, allen voran die Darsteller, haben eine amüsante, unterhaltsame und zugleich todtraurige Geschichte auf die Bühne gebracht, die man sich unbedingt ansehen sollte.
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